Leipziger Crowd wächst: Einzigartiges Musik-Projekt für Ukraine startet

von Simone Liss | 22.11.2022

Die Idee hinter der Leipziger Crowd ist einfach: Viele Menschen (crowd) finanzieren (fund) gemeinsam ein soziales, karitatives oder kreatives Projekt. Schwarmfinanzierung nennt man diese Idee auch. Sie garantiert allen Beteiligten einen Gewinn: Die Projektstarter bekommen Sichtbarkeit, finden Unterstützer, bekommen Feedback; die Förderer werden Teil einer Gemeinschaft, die gewiss sein kann, ein zweckmäßiges, sinnstiftendes Projekt gefördert zu haben. Bisher sind über die Leipziger Crowd 70 erfolgreiche Projekte von 9.798 Unterstützern mit einer Gesamtsumme von 1.204.993 Euro gefördert worden.

Eine Violinistin spielt konzentriert Geige und hat dabei Kopfhörer auf.

„Eine Bilanz, die uns beeindruckt und einmal mehr zeigt: Viele Leipziger haben ein großes Herz und geben, was sie können, um gute Ideen in die Tat umzusetzen beziehungsweise Menschen in Not zu helfen“, sagt Marleen Minker, Markenstrategin und Crowd-Managerin bei der Leipziger Gruppe. „Allein im Rahmen der gemeinsamen Hilfs-Aktion der Stadt Leipzig und der Leipziger Gruppe für ukrainische Schutzbedürftige sind in diesem Jahr 18 Vereine und Initiativen in Leipzig, Krakau und Danzig mit ihren Hilfs-Angeboten und -Maßnahmen unterstützt worden. Insgesamt sind 609.969 Euro ausgezahlt worden – eine großartige gemeinschaftliche Leistung, für die ich mich bei allen engagierten Leipzigerinnen und Leipzigern herzlich bedanke.“

Wer bis Jahresende noch die Gelegenheit nutzen und Projekte – aktuell gerade „Support the Ukrainian musicians from ,I am your border‘“ – unterstützen möchte, erreicht einen doppelten Effekt: „Alle gemeinnützigen Projekte profitieren von einer zusätzlichen Unterstützung aus dem Fördertopf der Leipziger Gruppe. Ab einer Spende von zehn Euro legen wir noch mal zehn Euro drauf. In diesem Fördertopf sind im Dezember noch 5.000 Euro“, sagt Marleen Minker.

Leipziger und Kiewer Musiker setzen gemeinsames Zeichen

„I am your border“ ist ein Song, der gerade den Nerv der Zeit trifft. „Putin, Du kannst leugnen, dass unsere Städte brennen, Du kannst Deine Panzer zum Töten schicken, Du kannst auf jeden Bürgersteig ein Z malen, Du kannst Deine Truppen einsetzen, um unsere Straßen zu erobern, Du kannst meines Bruders Blut vergießen, Du kannst meine Familie und Freunde töten, aber ich werde Deine Grenze sein. Du wirst meinen Glauben, meine Liebe, meinen Lebenswillen nicht zerstören. Meine Seele ist nicht Dein Boden, mein Land nicht Deine Enklave, mein Leben nicht Dein Spielzeug.“ Diese Zeilen stammen aus der Feder des Leipziger Musikers Lutz Leukhardt.

Im März 2022 hatte Leukhardt mit Freunden Hilfe für vier ukrainische Mütter mit Kindern organisiert. Die Eindrücke von seiner Fahrt an die polnisch-ukrainische Grenze verarbeitete er in dem Song für seine Leipziger Band IO:A. Was Leukhardt zu dieser Zeit nicht wusste: Eine der Mütter, Tanja, die in seinem Auto saß, ist die Schwägerin des bekannten Dirigenten des Kyiv Pop Orchestra, Mykola Lysenko, Enkel des berühmten ukrainischen Komponisten Mykola Lysenko, der in Leipzig Klavier und Komposition studiert hatte und dessen Statue heute den Kiewer Opernplatz ziert.

Mykola Lysenko ist der Kamera zugewandt, blickt aber an dieser vorbei und dirigiert mit aufgesetzten Kopfhörern.

Mykola Lysenko

Zuvor war bereits Lysenkos Frau Ljuba in Leipzig gelandet – ebenso durch Zufall. Leipzigs Finanzbürgermeister Torsten Bonev hatte der Frau – unbekannterweise – zur Flucht verholfen, als er an der polnisch-ukrainischen Grenze auf sie traf und mit nach Leipzig nahm. So fanden sich beide Schwestern in Leipzig und bauten Leukhardt eine Brücke zu dem Kiewer Dirigenten Mykola Lysenko und dem Komponisten Dmitry Konovalov.

Dmitry Konovalov sitzt hinter einem Notenständer.

Dmitry Konovalov

Konovalov übernahm das Orchester-Arrangement in der Ukraine, der Leipziger Martin Lorenz das Engagement für den a-cappella-Chor in Leipzig. Der Direktor des Militärorchesters der Ukraine stellte wiederum für die Aufnahme jene Musiker zur Verfügung, die in jener Zeit überhaupt in der Hauptstadt waren. Über 1.500 Kilometer Entfernung spielten am Ende 52 Musiker in Kiew, die Leipziger Band IO:A und der kurzfristig zusammengetrommelte Chor „Voices of Leipzig“ mit Sängerinnen und Sängern aus Leipzig den Song ein.

Vier Frauen singen.

Chor „Voices of Leipzig“

„Sieben Monate Arbeit für sieben Minuten Song – für alle Beteiligten war es eine große Herausforderung. Viele der ukrainischen Musiker waren und sind über das ganze Land verstreut und haben gerade natürlich andere Prioritäten, als zu Musizieren. Aber wir haben es geschafft“, sagt Leukhardt – nicht ohne Stolz. Für ihn sei es bei diesem Projekt nicht um den Selbstzweck, Profit oder Gefallsucht gegangen, „sondern um etwas Sinnstiftendes, moralisch Stärkendes, Solidarisches. Im Grunde hat der Song zwei Funktionen: Er soll alle Ukrainer – egal, wo sie gerade sind – moralisch unterstützen und die Spenden, die der Song einspielen soll, sollen den Musikern in der Ukraine zugutekommen.“

Der Song „I am your border“ wird auf youTube, Spotify, iTunes und Soundcloud veröffentlicht und kann kostenlos runtergeladen werden. Die Links zu allen Plattformen und Quellen für den Song sowie Möglichkeiten zur Spende an die Musiker in Kiew findet man auf www.iamyourborder.com beziehungsweise www.leipziger-crowd.de.

Leipziger Unternehmergesellschaft organisiert Integrations-Projekt

Mittlerweile leben rund 10.000 schutzbedürftige Ukrainer in Leipzig – darunter Freunde und Bekannte von Alexander Hertel. Den 34 Jahre alten Geschäftsführer der gemeinnützigen Unternehmergesellschaft Public Value Hub verbinden familiäre Bande mit Polen und der Ukraine – sein 19 Jahre alter Halbbruder und dessen Vater sind Ukrainer. „Ich bin vor dem russischen Angriffskrieg regelmäßig in der Ukraine gewesen, habe dort viele Freunde – junge, gut ausgebildete, digital versierte Menschen, darunter IT-Fachkräfte. Viele von ihnen suchen in Leipzig, in Deutschland eine Perspektive. Viele von ihnen sind nicht auf Transferleistungen aus, sondern wollen arbeiten, ihr Wissen und ihre Erfahrungen einbringen“, sagt Hertel. Seit Kriegsbeginn hat er rund 200 Ukrainern geholfen, nach Deutschland zu kommen – darunter seinem besten Freund und dessen hochschwangerer Schwester.

Der Energie, der Kraft und der Zuversicht dieser Menschen will Hertel mit einem bemerkenswerten Integrations-Projekt Tribut zollen. Ab April 2023 soll mithilfe von 36.700 Euro aus der Leipziger Crowd 30 geflüchteten Menschen aus der Ukraine ein zwölfwöchiges Workshop-Programm ermöglicht werden, das sie befähigen soll, gemeinwohlorientierte Geschäftsmodelle zu entwickeln und eigene Unternehmen zu gründen. „Das Projekt ,Social Entrepreneurs UA‘ startet am 1. Januar 2023 mit der Ausschreibungs- und Bewerbungsphase. Frauen und Menschen aus unterrepräsentierten Gruppen stehen besonders im Fokus des Programms und werden mindestens 50 Prozent der Teilnehmer und Teilnehmerinnen ausmachen. Der Workshop ist für die Teilnehmer kostenfrei und soll ihnen Kenntnisse und Fähigkeiten in den Bereichen Betriebswirtschaft, soziales Unternehmertum und Public Value vermitteln“, sagt Hertel, der berufsbegleitend an der HHL Business Administration studiert. Ziel des Projektes sei es, soziale Startups mit gesellschaftlichen Mehrwert zu gründen – „etwa ein Softwaresystem für digitale Anmeldungsprozesse für Geflüchtete zu entwickeln, das sich später auf andere Behördenprozesse übertragen lässt. Bilder von Geflüchteten, die in langen Schlangen, in der Kälte vor dem Rathaus stehen, darf es in einem Industrieland wie Deutschland in Zukunft nicht mehr geben.“

 

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