Leipziger Vielfalt: Der Übergang

von Leipziger Leben | 04.07.2019

Manche Menschen fühlen sich als Frau, sind aber genetisch gesehen ein Mann. Oder umgekehrt. Wie sich das anfühlt und welche Schwierigkeiten dabei entstehen? Fragen wir Tammo, der einmal Thea war.

Tammo Wende steht vor einem Tor und schaut lächelnd in die Kamera.

Tammo Wende ist 33 Jahre alt und heißt laut Personalausweis eigentlich Thea. Er gehört zu jenen, die im Laufe ihres Lebens – zumeist in der Pubertät – bemerken, dass ihre geschlechtliche Identität nicht ganz mit dem Körper übereinstimmt, den sie geburtlich mit auf den Weg bekommen haben. Wie etwa ein Prozent der Bevölkerung ist Tammo transident. Mittlerweile lebt er seine Identität als Mann, obwohl er mit einem weiblichen Körper zur Welt kam.

Leipziger Vielfalt: Die Ordnung im Dschungel der Missverständnisse

„Es gibt bei diesem Thema immer noch ein Durcheinander der Begriffe und Kategorien“, sagt der studierte Soziologe, Erziehungsund Sexualwissenschaftler. Er arbeitet aufgrund seiner Qualifikation als Berater für den Leipziger RosaLinde e.V., einen Verein, der sich als Anlaufstelle für Menschen jeglicher geschlechtlichen Identität und/oder sexuellen Orientierung etabliert hat. Gerade mit der Vorsilbe „trans“ seien die größten Verwirrungen verbunden. Erstens gibt es die bekannte Travestie als Showelement, bei dem Männer oder Frauen sich für theatralische Zwecke jeweils in das andere Geschlecht hineinversetzen und zumeist in Verkleidung humorige und kabarettistische Ziele verfolgen. Das sei eine rein darstellerische Angelegenheit. Zweitens bezeichnet der Begriff Transvestitismus die Neigung, unabhängig von der sexuellen Orientierung, die Kleidung des jeweils anderen Geschlechts zu tragen. Und schließlich gibt es die Transidentität: Damit ist die Diskrepanz zwischen männlicher und weiblicher Körperausstattung und der tiefer verankerten personalen Identität gemeint.

Tammo Wende schaut ernst in die Kamera.

Portrait von Tammo Wende aus Leipzig. Fotograf: Martin Neuhof/ Herzkampf

„Diese Diskrepanz habe auch ich erlebt. Vor der Pubertät ist mir das gar nicht so aufgefallen, weil ich in einer eher freien und wenig äußerlich festgelegten Rolle aufgewachsen bin. Erst mit der Pubertät habe ich gemerkt, dass ich nicht ganz so empfinde wie meine Freunde.“ Tammo erzählt, wie er nach und nach Erfahrungen mit sich und seiner sozialen Rolle machte – auch in ersten homosexuellen Beziehungen zu Frauen. Die verliefen jedoch nicht gerade unkompliziert, „weil sich eine lesbische Frau ja eher eine Frau zur Partnerin wünscht und nicht eine Person, die sich transmännlich identifiziert.“ Mit dieser Zeit der Orientierung hatte er wie viele andere Transidente auch zu kämpfen, bis ihm klar wurde, dass er nicht einfach nur eine lesbische Beziehung wollte, sondern eine völlig andere Identität.

„Meine eigenen Erfahrungen bei der Transition können eventuell auch in die Beratung einfließen, die ich heute anderen Menschen im Verein RosaLinde anbiete. Auf jeden Fall helfen sie mir, mich gut in das Gegenüber einzufühlen“, sagt der 33-Jährige. Mittlerweile ist Tammo erfolgreich den Weg durch viele Entscheidungsprozesse gegangen. Eine Hormonbehandlung verhilft ihm heute zu einem angepassten männlichen Identitätsempfinden. Und er weiß es zu schätzen, dass er im Vergleich mit anderen ihm bekannten Fällen die Phasen der Selbstfindung und Entscheidung relativ komplikationslos und früh erlebte. „Bei anderen
transidenten Menschen kann das äußerst dramatisch und psychisch belastend verlaufen und sich lange hinziehen. Manche werden sich erst nach schwersten Krisen ihrer Transidentität bewusst – nicht selten nach einem langen Eheleben mit Kindern. Der Leidensdruck kann viel stärker ausgeprägt sein, als das bei mir der Fall war.“

Mehr Normalität und weniger Symptom

Das größte gesellschaftliche Problem sieht Tammo Wende in allzu starren Rollenmustern, die schon in der Erziehung von Kindern vermittelt werden. Obendrein werde die Transidentität immer als Krankheitssymptomatik behandelt. Man könne davon ausgehen, so Wende, dass Menschen ganz prinzipiell stärker „genderfluid“ strukturiert seien, als es die „normale“ Wahrnehmung gewöhnlich festlege. Doch man spreche nicht darüber oder verdränge solche Tendenzen. Deshalb hört er Worte wie „normal“ oder „krank“ gar nicht gern, weil diese Etiketten den Betroffenen eine Außenseiterrolle oder gar „Patientenstatus“ zuweisen.

„Zugleich kann man aber froh sein, dass das genderfluide Feld wenigstens zum Teil noch als Krankheitsbild verstanden wird“, meint Tammo Wende. „Denn ansonsten würden die  Krankenkassen überhaupt keine Zuschüsse, Behandlungen mit Hormonen oder operative Eingriffe bezahlen.“ Ein schwieriges Feld.

Doch nach den neuesten Erkenntnissen sind 20 Prozent der Bevölkerung sexuell bi-orientiert, fünf Prozent homosexuell und ein Prozent eben transident. Die Ursachen hierfür wurden noch nicht wirklich entschlüsselt.
Alle anderen Fragen, zum Beispiel, ob Frauen oder Männer besser einparken, kochen, waschen, einen Nagel in die Wand schlagen oder Kinder erziehen können, haben Tammo nie interessiert. „Das überlasse ich den Kabarettisten und Komikern. Die Welt ist viel bunter und komplexer, als es sich ein kategorisierender Verstand vorstellen kann“ – spricht’s, bedankt sich für das Interview und entschwindet in seine wunderbar nicht-schwarz-weiße Welt über die Sachsenbrücke.

Das Plakat für den Christopher Street Day 2019 in Leipzig zeigt einen Erdball auf rosa Grund. Auf dem Ball sind eine Friedenstaube und mehrere Personen zu sehen.

Das Plakat des Christopher-Street-Day Leipzig 2019.

Dieser Beitrag erschien im Bürgermagazin Leipziger Leben 04/2017 und zeigt, wie Vielfältig unsere Gesellschaft ist. Auf die Leipziger Vielfalt aufmerksam zu machen und für Akzeptanz in der Gesellschaft zu werben, ist Ziel des Christopher-Street-Day.

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