Tomke Koop macht die Tram-EM zum Hörerlebnis

von Simone Liss | 19.05.2022

Sie beherrscht eine Kunst, die nur wenige Menschen verstehen: Bildeindrücke und Geschehnisse in Worte zu fassen. Große Kultur- und Sportevents macht Tomke Koop für blinde und sehbehinderte Menschen zum Hörerlebnis.

Eine Frau mit FFP2 Maske und Kopfhörer mit Mikro sitzt vor einem Laptop.
Tomke Koop lächelt in die Kamera.

Tomke Koop

Auch die bevorstehende Tram-EM am 21. Mai. Denn ein Handicap bedeutet für die 28 Jahre alte Marketing-Managerin der Leipziger Verkehrsbetriebe keinen Ausschluss. Seit 2019 engagiert sich Tomke Koop in einer gemeinnützigen Unternehmergesellschaft, die sich für Blinde in der Gesellschaft einsetzt. „Mit der ‚HörMal Audiodeskription‘ wollen wir sehbehinderte Menschen am gesellschaftlichen Leben teilhaben lassen“, erklärt die Wahl-Leipzigerin im Interview.

Frage: Was ist Audiodeskription und für wen ist sie gedacht?

Tomke Koop: „Audiodeskription“ bedeutet übersetzt nichts anders als „Hörbeschreibung“. Gemeint ist, dass Bildeindrücke detailgenau in Sprache übersetzt und somit auditiv erlebbar gemacht werden. Bekannter ist Audiodeskription vielleicht auch als „Zweitkanalton“ beim Fernsehen. Im Live-Bereich ist der Service Audiodeskription bei Veranstaltungen – mit Ausnahme von Spielen der ersten drei Fußball-Ligen – eine absolute Randerscheinung. Das bedeutet gleichermaßen, dass Menschen mit einer Seheinschränkung einen überwiegenden Teil an Großveranstaltungen nur unvollständig wahrnehmen können. Hierbei setzen wir mit unserer Arbeit an. Audiodeskription ist ein Baustein zur Förderung von Barrierefreiheit und Inklusion in unserer Gesellschaft. Mit Hilfe von Hörbeschreibungen wird ein gemeinschaftliches Erlebnis von Menschen mit Handicap zusammen mit allen anderen Gästen dieser Veranstaltung möglich.

„Bei Live-Events ist der Klick auf eine Stopp-Taste nicht möglich“

Wie wird man Audiodeskripteur, und wie geht man als solcher vor?

Es gibt noch kein Studium oder eine konkrete Ausbildung, die jemanden zum Audiodeskripteur macht. Vielmehr ist es die der Kontakt mit blinden und sehbehinderten Menschen und die daraus resultierende Erfahrung, die im Laufe der Zeit dazu befähigt. Zusätzlich sind natürlich Kenntnisse über das Sprechen wichtig.

Welche Rolle spielt die Sprachgewandtheit bei der Audiodeskription? Muss man eine besonders phantasievolle Sprache haben?

Das Ziel ist, Bilder in den Köpfen der Menschen zu erzeugen. Da ist der richtige Umgang mit Sprache natürlich ein absolutes Muss. Wichtig ist, die Dinge objektiv und präzise zu beschreiben – nur wenig zu werten – und dabei trotzdem möglichst gestaltgebende Worte zu finden. Wichtig ist auch, nahezu in Echtzeit zu beschreiben. Denn bei Live-Events ist der Klick auf eine Stopp-Taste nicht möglich.

Fällt es Ihnen manchmal schwer, die passenden Worte zu finden, um etwas zu beschreiben?

Ich glaube das fällt jeder Person, die etwas beschreibt, manchmal schwer – auch mir. Aber mit der Zeit erweitert sich der Wortschatz so enorm, dass es immer leichter fällt. Die wichtigste Basis ist immer eine gute Vorbereitung auf das Event, das beschrieben wird. Ich befasse mich vorher intensiv mit den Eigenheiten, beispielsweise Sportlern, Regeln einer Sportart oder Besonderheiten eines Konzerts oder Schauspielstücks.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich für dieses Thema stark zu machen?

Ich habe durch meine zwei Kollegen, mit denen ich unsere gemeinnützige Gesellschaft gegründet habe, den Kontakt zu dieser Tätigkeit bekommen. Dadurch habe ich immer mehr blinde und sehbehinderte Menschen kennengelernt, die mittlerweile teilweise auch zu Freunden geworden sind. So ergab sich die Thematik quasi ganz automatisch.

Macht es einen Unterschied, ob man live berichtet oder – wie beim Theater – einen Bericht vor der Aufführung einspricht oder ob man für Zehnjährige und 70-Jährige spricht?

Audiodeskription zu Theaterstücken, Sportevents, Konzerten ist so gut wie immer live. Vorab-Einsprachen sind nur dann sinnvoll, wenn der Ablauf und das Timing ganz genau feststehen und sich nichts ändern kann. Das ist bei Live-Events aber so gut wie nie gegeben. Das macht die Live-Audiodeskription so aufregend – die Vorbereitung muss gut sein, damit die Beschreibung besser funktioniert. Unsere Sprache passen wir dabei natürlich auch an unser Publikum an. Für Kinder wählen wir, wenn es passt, eine einfachere Sprache als für Erwachsene. Wir arbeiten manchmal auch mit Vergleichen, um Dinge plastischer zu machen, und dabei unterscheiden wir dann natürlich auch zwischen jüngeren und älteren Menschen oder auch Neulingen und Experten.

Tram-EM: Hör-Empfänger am Stand von HörMal Audiodeskription und dem Behindertenverband

Eine riesige Lotto-Kugel liegt vor einer Bahn und wirbt für die Tram EM.

Tram-EM: Sachsenlotto unterstützt das Fest der Vielfalt.

Wie bereiten Sie sich auf die Tram-EM vor?

Wir schauen uns verschiedene Dinge an: Wie ist die Wettkampfstrecke beschaffen? Welche Fahrzeuge werden eingesetzt? Wie werden unterschiedliche Teile von Straßenbahnen genau benannt? Wer sind Leipzigs beste Straßenbahnfahrer? Was sind die unterschiedlichen Disziplinen und was sind ihre Besonderheiten? Was passiert sonst noch auf dem Augustusplatz? Wir versuchen also im Vorhinein schon alles zu erfassen, was passiert, um möglichst genaue Beschreibungen liefern zu können und um viel Hintergrundwissen und Erklärungen mitzugeben.

Wie bekommen blinde und sehbehinderte Menschen bei der Tram-EM Zugang zu Ihrem Service?

Die Audiodeskription wird über ein Audioguide-System mit Kopfhörern empfangen. Es können gern auch eigene Kopfhörer mitgebracht werden. Die Hör-Empfänger erhalten die Besucher direkt auf dem Augustusplatz am Stand von HörMal Audiodeskription und dem Behindertenverband. Dieser befindet sich auf der Opern-Seite direkt neben dem Start der Wettkampfstrecke an der Straßenecke Goethestraße/Georgiring – an der Ampel gegenüber vom Motel One.

Audiodeskription wird inzwischen auch im Fernsehen, Theater oder Stadion angeboten. Wünschen Sie sich mehr Formate, bei denen Audiodeskription zum Einsatz kommt?

Ich wünsche mir generell, dass dieser inklusive Service weiter an Bekanntheit gewinnt – egal bei welchem Event. Gemeinsam mit meinem Team arbeiten wir genau dafür und begleiten mittlerweile verschiedenste Events, beispielsweise Leichtathletik-Meisterschaften, die European Championships in München, aber auch Konzerte. Wir versuchen, den Service perspektivisch in möglichst allen gesellschaftlich relevanten Großevents zu etablieren, egal ob Sport oder Kultur. Und wichtig ist auch zu erwähnen, dass Audiodeskription auch für manche Sehende sehr interessant sein kann. Wenn man zum Beispiel noch nie bei einem Handballspiel war, wird man durch unsere Erklärungen viel besser verstehen wie das Spiel funktioniert.

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