Von der Baustelle ins Büro: wie eine Umschulung neue Perspektiven eröffnet

von Simone Liss | 13.09.2022

Was bedeutet Inklusion? Im Fall von Frank Switalla, 39, und kaufmännischer Mitarbeiter bei der Netz Leipzig GmbH, bedeutet sie: nie den Kontakt zu verlieren, füreinander da zu sein – und neue Perspektiven zu schaffen, wenn eine schwere Krankheit die alten zerstört hat.

Frank Switalla steht auf einer Brücke und lächelt in die Kamera
Frank Switalla steht auf einer Brücke und lächelt in die Kamera

Trotz aller Rückschläge schaut Frank Switalla nach vorn.

Am 20. März 2002 ändert sich das Leben von Frank Switalla für immer. Er ist 18 Jahre alt und im dritten Lehrjahr bei den Leipziger Stadtwerken, wo er sich zum Anlagemechaniker, Fachrichtung Versorgungstechnik, ausbilden lässt. Das ist – seit seinem Schülerpraktikum in der 8. und 9. Klasse – sein Traumberuf. „Ich wollte Gasmonteur werden. Raus auf die Baustelle, mit den Kollegen arbeiten.“ Er ist glücklich in seinem Betrieb und mit dem, was er lernt.

26 Operationen und zwei Jahre lang Rehabilitation

Doch am 20. März 2002 kommt alles anders. Um 9:30 Uhr steht er im Pausenhof der Berufsschule und raucht eine Zigarette, als ihm plötzlich schlecht wird und schwindelig. Ein Kollege begleitet ihn ins Sekretariat. Frank Switalla wird auf eine Krankenliege gelegt, übergibt sich und wird bewusstlos. Neun Tage später kommt er wieder zu sich und erfährt, was in der Zwischenzeit mit ihm geschehen ist:

Ein 250 Gramm schwerer Gehirntumor wurde aus seinem Kopf entfernt – so groß wie ein Stück Butter. Doch nicht genug. Der junge Mann hatte zwei Gehirnblutungen und zwei Schlaganfälle während der Operation erlitten. Danach: Neun Tage künstliches Koma. Als der 18-Jährige aufwacht, ist seine linke Seite gelähmt. „Ich konnte mich nicht mehr bewegen, und überall waren Schläuche und Kabel an mir dran.“

Wenn der heute 39-Jährige auf diese Zeit zurückblickt, zählt er schnell und gelassen die Fakten auf: „26 Operationen, davon fünf bei geöffneter Schädeldecke. Zwei Jahre Rehabilitation.“ Wie er das alles überstanden hat, und das mit 18? „Muss ja weitergehen“, antwortet er dann. „Man freut sich über jeden kleinen Fortschritt. Und ich hatte viel Besuch von Freunden. In der Rehaklinik war es keine Seltenheit, wenn zeitgleich zehn bis 15 Leute zu Besuch waren, an einem einzelnen Tag waren es dann manchmal insgesamt 25 Leute“, erzählt er weiter und lächelt.

Während er alle Bewegungen der linken Körperhälfte neu lernt – den Arm bewegen, laufen, den Kopf halten – hat er auch regelmäßig Kontakt zu seinen Kollegen aus der Ausbildung und seinen Vorgesetzten bei den Leipziger Stadtwerken. Wann immer er kann, lässt er sich in seinem Ausbildungsbetrieb blicken. „Die Botschaft vom Chef war immer klar: Werde gesund – und komm‘ zurück! Das zu wissen, hat mir sehr geholfen.“

Von der Baustelle an den Schreibtisch

Frank Switalla steht auf einer Brücke und lächelt in die Kamera. Fokussiert ist im Vordergrund ein Gehstock.

Die Laufstöcke sind Frank Switallas regelmäßige Begleiter.

Im August 2004 ist es so weit: Frank Switalla kommt zurück zu den Leipziger Stadtwerken. „Meine alte Ausbildung konnte ich nicht weiterführen, denn ich kann meine linke Hand nicht mehr aktiv nutzen. Also habe ich eine kaufmännische Ausbildung begonnen. Am Anfang war es unvorstellbar für mich, nicht mehr mit auf die Baustelle zu dürfen. Aber ich habe mich schnell eingewöhnt.“

Er wird Kaufmann für Bürokommunikation und zuständig für das Weiterbildungsmanagement – erst bei den Stadtwerken, seit 2016 bei der Tochterfirma Netz Leipzig. Privat hat Frank Switalla noch heute Kontakt zu seinen Kollegen von damals, aber auch beruflich: „Ich melde ihre Weiterbildungen an, buche Hotels, organisiere wichtige Dinge.“

Eingeschränkt fühlt er sich heute nicht mehr. „Computermäßig geht alles, und ich sitze ja am Computer. Alles läuft gut momentan.“ Für Menschen mit schwerer Krankheit oder Einschränkungen wünscht er sich, „dass sie genauso behandelt werden wie kerngesunde Menschen.“ Der Leipziger Gruppe will er treu bleiben. „Ich bin jetzt seit 23 Jahren hier – ich will hier nicht weg!“

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