Nicht nur die Hauptlinien der Leipziger Verkehrsbetriebe treffen am Ring, im Herzen der Stadt, aufeinander. Auch die überregionale Bahnen kommen und starten von hier. Genauer gesagt: im Promenaden Hauptbahnhof Leipzig. Unendliche Weiten öffnen sich nicht nur für Reisende, die aus dem Kopf des berühmten Kopfbahnhofes in alle Himmelsrichtungen fahren. Auch für seine Mitarbeiter und Angestellten ist Leipzigs prominenter Reise-Ort eine nie endende Herausforderung, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr.

Dieser Text erschien im Leipziger Leben 04/2017.

– Blickwinkel 01 –
SAUBERMÄNNER UND PUTZFEEN

Saubere Arbeit: Die Reinigungskräfte im Hauptbahnhof.
Saubere Arbeit: Die Reinigungskräfte im Hauptbahnhof.

Dieser Bahnhof schläft nie. Er läuft und läuft. Da wären zum Beispiel 67 Papierkörbe, die zwar nicht laufen können, dafür aber schnell überlaufen, wenn sie nicht regelmäßig angelaufen würden von Andrea Neubert. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen der Reinigungsfirma WISAG hält sie als Blitzblankfee in drei Schichten ununterbrochen die Einkaufspassagen mit Wischmopp, Kehrmaschine und Putzlappen in Schuss. Eine Herausforderung, die viel Arbeit nach sich zieht. Und eine, die gute Kondition erfordert. Denn täglich werden dabei bis zu 20 Kilometer zurückgelegt. „Dazu kommt noch das Bücken, Strecken, Putzen, Wischen und gelegentlich ein kleines Ekeln, denn es sind nicht immer nur Bockwürste, die vom Fußboden entfernt werden müssen, gerade in den Außenbereichen“, sagt Fanny Kündiger, die als Chefin die Reinigungsarbeiten koordiniert. „Außerdem sind die Putzfeen im Publikumsverkehr angehalten, immer eine freundliche Erscheinung abzugeben und bei Bedarf auch ein nettes Wort für kleinere Auskünfte übrig zu haben.“

– Blickwinkel 02 –
DIE ALLESWISSER

Wenn jemand nur Bahnhof versteht, kommt er zu Nadine Schönfeld und lässt sich die Welt erklären – oder den Weg zur Toilette.
Wenn jemand nur Bahnhof versteht, kommt er zu Nadine Schönfeld und lässt sich die Welt erklären – oder den Weg zur Toilette.

Für nette Worte und vor allem kompetente Auskünfte ist aber hauptberuflich Nadine Schönfeld zuständig. Sie beantwortet im Erdgeschoss der Bahnhofspassagen am Stand der Kundeninformation Fragen, die meist weit über die Einkaufspassagen hinausreichen. Zwar lautet die häufigste Frage immer noch: „Wo sind denn hier die Toiletten?“ (ca. 80-mal am Tag), aber die hohe Schule der Auskunft reicht hier bis zu Veranstaltungsterminen, Lokalitäten und Verkehrsanbindungen in der ganzen Stadt Leipzig. Nadine Schönfeld bestätigt: „Wir organisieren dazu jeden Morgen ein Briefing mit den Kollegen, an dem wir uns über die neuesten Termine, Events und Sonderveranstaltungen in Leipzig und die wichtigsten Verkehrslagen informieren. So bleiben wir auf dem Laufenden und die Arbeit wird nie langweilig.“

– Blickwinkel 03 –
TECHNIKER AUF FEHLERSUCHE

Diesen Satz würde sicherlich auch Thomas Hahn unterstreichen. Der Leiter der Haustechnik des Bahnhofs sitzt hin und wieder in einem kleinen Kontroll- und Überwachungsraum, in dem die
wichtigsten Daten zu Heizung, Belüftung, Abwasser und Elektroanlagen zusammenlaufen. Hauptsächlich sind er und seine acht Kollegen allerdings damit beschäftigt, kleine Fehlermeldungen zu prüfen, die Fehlerquelle selbst zu reparieren oder große Fehler wie kaputte Rolltreppen, defekte Fahrstühle, gelegentlich überforderte Kühlanlagen oder defekte Parkscheinautomaten in den Parkhäusern sofort an eine Vertragsfirma zu melden, die dann zur Reparatur schreitet. „Irgendeine Herausforderung gibt es immer“, sagt der 39-jährige gelernte Elektroanlagenbauer. „Zwar gibt es ruhige Tage, aber nicht selten laufen drei oder vier Fehlermeldungen gleichzeitig ein. Dann beginnt auch bei uns der Marathonlauf von der Ost- zur Westseite. Oder auch von unten nach oben.“

– Blickwinkel 04 –
MUSKELPAKETE FÜR MEHR SICHERHEIT

Breite Schultern gehören zur Grundausstattung der Sicherheitsleute Herr M. und Herr W.
Breite Schultern gehören zur Grundausstattung der Sicherheitsleute Herr M. und Herr W.

Das Zurücklegen langer Wege und eine entsprechende Fitness vereint wohl alle Beschäftigten des Bahnhofs und der Einkaufspassagen. Besonders gilt das für Herrn M. und Herrn W. vom Sicherheitsdienst MDW, deren Namen aus Sicherheitsgründen abgekürzt werden. Die beiden durchtrainierten Mitarbeiter sind das, was man im Sprachgebrauch gern als „freundlich, aber bestimmt“ bezeichnet. „Wir gehen unsere Runden, sind aber nicht die Polizei. Wir schalten Alarmanlagen scharf und morgens wieder unscharf – und wir kümmern uns, wenn irgendwo etwas auffällig wird. Das kann ein Betrunkener sein oder auch der eine oder andere Ladendieb.“ Aber die meisten Vorfälle kläre man mit Humor und Menschenkenntnis, meint Herr W., dessen Smartphone gerade klingelt, weil offenbar eine verdächtige Situation in einem Parkhaus beobachtet wurde. Jetzt heißt es: Im Laufschritt nachsehen, vorbeugen, klären. Für brenzligere Herausforderungen hat der Sicherheitsdienst allerdings einen noch durchschlagskräftigeren Partner an seiner Seite.

Bundespolizist Mirko Binner kann leider nicht immer so entspannt bleiben wie beim Schnack mit dem Bahnpersonal.
Mirko Binner kann nicht immer so entspannt sein wie beim Schnack mit dem Bahnpersonal.

– Blickwinkel 05 –
FREUND & HELFER

Denn gerade, wenn es zu Handgreiflichkeiten mit pöbelnden Alkoholikern oder unberechenbaren Drogensüchtigen kommt, ist die im Westflügel stationierte Bundespolizei gefragt. Der Hauptbahnhof ist schließlich nicht nur Dreh- und Angelpunkt für Reisende, sondern auch für illegale Handlungen, was Polizist Mirko Binner und seine Kollegen immer wieder in Gefahrensituationen bringt. „Es ist schon eine Herausforderung, einen um sich schlagenden, kratzenden und beißenden Junkie, der sich auf der Bahnhofstreppe gerade einen Schuss geben wollte, zur Vernunft zu bringen.“ Schlagstock, Pfefferspray, Handfessel, Funkgerät und nicht zuletzt die geladene Dienstwaffe sind die Begleiter von Mirko Binner bei jedem Streifgang. Beim Fassen von Taschen- und Warendieben genügen jedoch häufig auch polizeiliche Erfahrung, Reaktionsschnelligkeit und ein wenig Muskelkraft. Seine Waffe musste er zum Glück noch nicht einsetzen, auch wenn er natürlich zu jeder Zeit auf alles vorbereitet sein muss.

– Blickwinkel 06 –
DER MANAGER

Centermanager der Promenaden Hauptbahnhof Leipzig Thomas Oehme hält die Fäden in der Hand.
Centermanager  Leipzig Thomas Oehme hält die Fäden in der Hand.

Der Einzige, der beinahe noch wacher ist als die Bundespolizei, ist Thomas Oehme, der Centermanager der Promenaden Hauptbahnhof Leipzig. Der 41-Jährige erzählt ohne Klagen von der Normalität seiner 13-Stunden-Tage, die sich schon mal über sechs Tage in der Woche legen können. „Viel Arbeit macht mir nichts aus, mein Job bietet jede Menge Abwechslung. Dazu zählt zum Beispiel das Organisieren von kleineren Events und Ausstellungen wie die ‚Hall of Fame der deutschen Sportgeschichte‘, die viele Neugierige anzieht und zu der auch ehemalige Größen des DDR-Sports eingeladen wurden.“ Bei seinem eigenen täglichen Stationenmarathon besucht er Ladenmieter, kümmert sich anschließend um die Abteilungen seiner Mitarbeiter, schaut bei der Haustechnik nach dem Rechten und motiviert die Reinigungskräfte mit einem dicken Lob. Die abwechslungsreiche Mischung aus Marketing, Management und Betriebswirtschaft lässt keinen Tag gleich aussehen. „Ich genieße die Herausforderungen und den täglichen Wirbel“, sagt der Manager der Promenaden Hauptbahnhof Leipzig zufrieden und ist schon wieder auf dem Sprung zum nächsten Termin.

Blickwinkel 07 –
DIE HELFENDE HAND

Für viele Reisende eine Stütze, aber Carlo Arena (li.) sorgt auch dafür, dass der Bahnhof für niemanden eine Endstation sein muss.
Für viele Reisende eine Stütze, aber Carlo Arena (li.) sorgt auch dafür, dass der Bahnhof für niemanden eine Endstation sein muss.

So richtig am Herumwirbeln sind auch die Sechs- bis Vierzehnjährigen, die im Rahmen des DB-Angebots „Kids on Tour“ von einem der 25 ehrenamtlichen Mitarbeiter der Bahnhofsmission auf ihrer Reise begleitet werden. Carlo Arena bekleidet das einzige Hauptamt der ältesten ökumenischen Einrichtung Leipzigs, die auch Menschen mit Behinderung oder Altersschwäche eine Stütze beim Weg zu ihren Gleisen ist. Darüber hinaus wird Bedürftigen und Obdachlosen eine erste Nothilfe in Form von Essen, Kleidung oder Aufenthalt gewährt und an die weiterführenden Hilfen und Träger vermittelt. Dankbare Großmütterchen, strahlende Kinder oder lobende Menschen mit Beeinträchtigung – das ist Carlo Arenas Treibstoff zwischen Intercity und Regional-Express.

Erstaunlich, welche Menschen und Mechanismen ineinandergreifen, um Europas flächenmäßig größten Kopfbahnhof am Laufen zu halten. Aus der Perspektive der Reisenden befinden sich häufig nur Gleis, Kiosk oder Bahnhofsuhr im unmittelbaren Wahrnehmungsbereich. Doch es braucht den geschulten Blickwinkel der fleißigen und täglich aufs Neue zu kleinen und großen Helden avancierenden Mitarbeiter des Leipziger Hauptbahnhofs. Zusammen meistern sie die tägliche Herausforderung, das geöffnete Tor zur Welt zu hüten – damit die täglich rund 120.000 Reisenden entspannt ihr Ziel erreichen.