Vom Leiharbeiter zum festen Teammitglied: wie Integration gelingen kann

von Simone Liss | 20.09.2022

Neue Heimat, neue Arbeit: Gorin Khalil ist GIS-Datenerfasser bei den Leipziger Wasserwerken. Er hat aus eigener Erfahrung einiges zu Chancengleichheit, Vielfalt und Integration zu erzählen. Was für ihn beim Ankommen in der Leipziger Gruppe überraschend und erfreulich war, und was er anderen Migrantinnen und Migranten rät, lesen Sie im Interview.

Gorin Khalil lehnt sich an eine Bahn und lächelt in die Kamera.
Gorin Khalil steht an einer Ampel und schaut über die Straße

Neue Heimat, neue Arbeit: Gorin Khalil fühlt sich wohl in Leipzig.

Frage: Wie bist Du zu den Leipziger Wasserwerken gekommen?

Gorin Khalil: Geboren und aufgewachsen bin ich in Syrien. Als ich 2016 von dort nach Deutschland gekommen bin, habe ich erst ein Jahr Sprachkurs gemacht und dann bin ich zuerst 2018 über eine Leiharbeitsfirma zu den Wasserwerken ins Team Vermessung gekommen. Ich habe mich dort wohlgefühlt und mich dann 2019 auf eine feste Stelle beim Team GIS beworben – und die auch bekommen!

Für alle, denen die Abkürzung GIS nichts sagt, was ist das? Was machst Du an einem normalen Tag im Büro?

GIS heißt Geoinformationssystem. Das heißt, wir erstellen neue Karten oder aktualisieren die bestehenden. In Leipzig und der Region betreiben wir als Wasserwerke ein großes Netz an Leitungen und Kanälen und dafür braucht man natürlich Karten mit allen Details. Wenn jemand zum Beispiel ein Haus baut, kommt die Information über den neuen Anschluss ans Team GIS. Oder wenn die Lage noch nicht klar ist, wie man etwas bauen kann, geben wir die Koordinaten durch, wo sich etwas genau befindet. So geben wir manchmal Infos an die anderen Abteilungen, wo Wasser, Regenwasser, Mischwasser, Schmutzwasser in den Leitungen ist.

Du hilfst also den Überblick über das Leitungs- und Kanalnetz zu erhalten und das scheint Dir Freude zu machen. Kam es für Dich infrage, in einem anderen Bereich zu arbeiten?

Ja, mir macht Spaß, dass ich etwas mache, was ich wirklich gelernt habe. Ich hatte mein Zeugnis und meine Arbeitserfahrung – warum sollte ich etwas anderes machen? Zum Glück ist es als Vermesser kein Problem, man braucht keine Anerkennung des Zeugnisses, sondern lässt es einfach übersetzen und beglaubigen. Das ist dann in Ordnung. Wir waren aber viele Bewerberinnen und Bewerber und ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, dass ich die Stelle bekomme. Ich hatte zwar Erfahrungen in Syrien und Saudi-Arabien, aber eben nicht in Deutschland. Und als mich die Personalabteilung angerufen hat, war ich erstaunt!

„Mein Kollege ist mein ,Duden'“

Du hast mir erzählt, dass Du der einzige Ausländer in deinem Arbeitsumfeld bist. Wie war das für Dich? Hattest du Bedenken, hier anzufangen?

Als Person aus einer anderen Kultur war mir anfangs nicht klar, wie die Arbeitsatmosphäre sein wird. Werden sie mich akzeptieren? Wie sind die Kolleginnen und Kollegen? Ich habe aber ein tolles Team. Die sind so offen und haben mich nicht nur akzeptiert, sondern auch unterstützt. Ich habe Bekannte, die an anderen Orten arbeiten – ich weiß, dass es Schwierigkeiten mit der Akzeptanz gibt. Bei den Wasserwerken hatte ich von Anfang an ein tolles Team.

Wie haben die anderen auf Dich reagiert?

Auf dem Betriebsfest hatte ich das gute Gefühl, willkommen zu sein. Alle Leute wollten Kontakt zu mir und auch der Chef ist direkt auf mich zugekommen. In den Medien sieht man ja oft Syrien sei nur eine Wüste. Ich habe solche Fragen gestellt bekommen wie „Habt ihr Autos in Syrien?“ – „Nö, wir sind alle auf Kamelen unterwegs (lacht ironisch)“. Aber ich finde das trotzdem gut, wenn die Leute fragen. Wenn Dich jemand fragt, will er es verstehen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich hier bei den Wasserwerken alle interessieren.

Welche Rolle hatte Dein Team beim Ankommen?

Mein Team war wirklich eine Unterstützung! Ich wurde stufenweise eingearbeitet, gut geschult und weitergebildet. Und die Kolleginnen haben mir jede Frage beantwortet! Auch beim Deutschlernen war das Team wichtig. Im Sprachkurs lernt man das ja nur theoretisch, es ist aber wichtig, mit den Leuten zu sprechen. Ich habe einen Kollegen, der ist mein „Duden“. Er korrigiert mich fast jedes Mal (lacht): „Ne, Gorin, so nicht – der, nicht die – immer wieder geht’s um die Artikel“. Sowas braucht man!

Was hat dich an der Arbeit bei den Wasserwerken überrascht?

Gorin Khalil sitzt vor einem Brunnen und lächelt in die Kamera.

Vom Fremden zum geschätzten Kollegen: Gorin Khalil.

In meinem ersten Jahr hatten wir ein Teamevent mit Übernachtungen. Das war etwas ganz Besonderes. Mir gefällt die Philosophie, auf der Arbeitsstelle nicht nur Beziehungen aufgrund von Aufträgen und Aufgaben miteinander zu haben, sondern sich auch persönlich kennenzulernen. Eine Expertin für Teambuilding war mit dabei, um die Beziehungen zu verstärken. Das war sehr gut organisiert. Unser Teamleiter war auch dabei, insgesamt waren wir acht Leute. Wir haben dort zusammen gekocht und gegrillt – und Shisha geraucht. Da haben alle geschaut! Ich rauche am liebsten Doppelapfel (Tabakgeschmack Anis mit einem leicht süßlichen Apfel, Anmerkung der Redaktion).

War das selbstverständlich, dass Du deine Shisha mitgebracht hast?

Nein, ich habe vorher meinen Teamleiter gefragt, was er denkt. Seine Antwort: „Ja, klar bring Deine Shisha mit.“ Und er rauchte mit. Das hätte ja auch sein können, dass jemand das nicht akzeptiert. Aber wir haben dann viele Geschichten erzählt und uns kennengelernt.

Vertrauen, bewerben, ausprobieren

Ankommen, Onboarding, Integration. Wie ist Dir das gelungen?

Integration ist die Beziehung zwischen Person und Gesellschaft, beide Seiten müssen sich akzeptieren. Der einfachste Weg, sich in die Gesellschaft zu integrieren ist für mich aber die Arbeit. Wenn du arbeitest, hast du Kollegen, dann hast du Kontakte, Themen, Kultur und dann bist du schon integriert (lacht).

Hattest Du eigentlich Vorurteile gegenüber den Deutschen?

Bier trinken – das ist aber eher eine Erfahrung als ein Vorurteil (lacht). Bürokratie und Papierkram ist in meiner Erfahrung auch so, Maschinen und Industrie, Autos und gute Qualität. Von Pünktlichkeit habe ich immer gehört, das ist aber irgendwie gar nicht so. Ich habe eine Lieblingskollegin, die hat mit Pünktlichkeit nichts am Hut. Sie will in fünf Minuten kommen, aber dann kommt sie nach einer Viertelstunde. Sie ist mehr Ausländerin als Deutsche (lacht).

Gibt es etwas, das Du anderen Migrantinnen und Migranten mitgeben würdest?

Ich würde anderen Migrantinnen und Migranten raten, sich zu trauen sich bei den Wasserwerken zu bewerben. Es einfach probieren. Und dann wird das schon! Man hat hier wirklich gute Möglichkeiten sich weiterzuentwickeln.

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