Leipziger Mobilität: Der (optimale) Weg ist das Ziel

von Leipziger Leben | 11.12.2020

Das neue Magazin Leipziger Leben ist erschienen, unter anderem mit vielen spannenden Geschichten rund um die Leipziger Mobilität. So zum Beispiel zur Zukunft der Mobilität in Leipzig. Lesen Sie hier das ganze Interview:

Eine Bahn fährt.

„Wir werden in Zukunft unsere Wege und die Mobilität in Leipzig ganz anders gestalten“, das sagen Sandy Brachmann, Bereichsleiterin Marketing, und der Leiter der Forschung und Entwicklung Jens Hollritt von den Leipziger Verkehrsbetrieben. Wir haben nachgefragt.

Jens Hollritt und Sandy Brachmann im Interview

Wie sieht die Wegeplanung der Zukunft aus?

Jens Hollritt: Aktuell beschäftigen wir uns intensiv mit dem Thema intermodales Routing. Das heißt, es wird nicht nur ein einziges Verkehrsmittel für einen Weg gewählt, sondern eine Wegekette erzeugt, die den Umstieg zwischen verschiedenen Verkehrsträgern auf einer Strecke ermöglicht. Auch hat in den letzten Jahren das Thema On-Demand-Verkehr, also Bedarfsverkehr, stark an Bedeutung gewonnen – in der Regel in Form von Kleinbussen, die Kunden zu einem selbst gewählten Zeitpunkt von Tür zu Tür bringen.

Wie reagieren Sie darauf?

Jens Hollritt: Unsere Antwort heißt LeipzigMOVE. Genauer gesagt, das eigens entwickelte, hochkomplexe Routingsystem, das sich hinter unserer App verbirgt. Damit wollen wir fahrplangebundene Angebote, also Bus und Straßenbahn, mit flexiblen On-demand-Angeboten verknüpfen. Das können wir mit den klassischen Routingsystemen, auf denen die meisten Auskunftsapps basieren, gar nicht leisten.

Sandy Brachmann: Am Ende wollen wir für unsere Kunden eine optimale Alternative zum eigenen Auto schaffen und zwar von der eigenen Haustür bis hin zum wirklichen Ziel.

Was verstehen Sie unter „optimal“?

Auf einem Handybildschirm sieht man die Leipzig Move App.

Blick auf die App LeipzigMOVE.

Jens Hollritt: Das kommt ganz darauf an, was der Nutzer möchte. Möchte er bequem oder lieber besonders günstig unterwegs sein? Das sollte er dann entsprechend voreinstellen können. Oder wenn er, wie ich, sagt „Bitte lass das Fahrrad außen vor“ (lacht), dann sollte er bestimmte Mobilitätsarten ausschließen können. Das kann man sich dann vorstellen wie bei den Voreinstellungen eines Navigationsgeräts fürs Auto – nur die Auswahl „landschaftlich schönste Route“ haben wir aktuell noch nicht in Planung.

Was kann die App heute schon?

Jens Hollritt: Heute ist die schnellste Route voreingestellt, Sie können sich aber auch für möglichst wenige Umstiege oder kurze Fußwege entscheiden. Auch können Sie heute schon bestimmte Verkehrsmittel außen vor lassen.

Sandy Brachmann und Jens Hollritt sitzen an einem Tisch in einem Büro und lächeln in die Kamera.

Sandy Brachmann, Bereichsleiterin Marketing der LVB und Jens Hollritt, Leiter der Forschung und Entwicklung bei den LVB.

Und was wird noch kommen?

Jens Hollritt: Zukünftig wird es dann unter anderem eine Auswahlmöglichkeit für die günstigste Route geben. Ein weiterer Punkt ist die sogenannte prognostizierte Echtzeit in der Zukunft. Ein Echtzeitrouting haben wir ja schon heute, das funktioniert allerdings nur bei Anfragen für zeitnahe Fahrten. Wenn ich nun aber 12 Uhr mittags für 18 Uhr abends eine Strecke am Stadion vorbei plane, und an diesem Tag dort eine Großveranstaltung stattfindet, dann wissen wir ja eigentlich schon, dass es auf der Route Verspätungen geben könnte. In diesem Fall wäre eine Route optimal, die das Stadion weiträumig umfährt. Das soll die App in Zukunft leisten können.

Sandy Brachmann: Unser Routing berücksichtigt bereits heute auch den Fußweg zur Haltestelle, deshalb unterscheiden sich die Auskünfte zum Teil von anderen Apps. Zudem haben wir andere Logiken hinterlegt, also zum Beispiel die schnellste Route oder wenige Umstiege. So kann es sein, dass die Routen sich bei verschiedenen Apps unterscheiden, obwohl man den gleichen Start und das gleiche Ziel hat. Da gab es zu Beginn schon einige Irritationen.

Jens Hollritt: Und es gibt noch einen weiteren Aspekt: Im „normalen“ Auskunftssystem liegt zum Beispiel der Geografiepunkt für die Haltestelle Augustusplatz direkt auf der Kreuzung. Wir haben diese Punkte auseinander genommen und gleisscharf gemacht – ich werde also gleich zum Einstiegspunkt gelotst. Auch hier gibt es also zeitliche Abweichungen zu anderen Apps. Für die Kunden ist unsere Lösung natürlich viel komfortabler.

Sandy Brachmann: Selbst unsere Kollegen haben gesagt „Ihr schickt mich hier aber komisch“ und haben gar nicht gewusst, dass es eigentlich eine schnellere Verbindung gibt als die, die sie schon seit Jahren nutzen.

Jens Hollritt: Auch hier bietet sich wieder der Vergleich mit einem Auto-Navigationssystem an. Das leitet einen ja auch manchmal über Wege, die man sonst wohl nie gefahren wäre.

Das klingt ja alles recht komplex, wie haben Sie das geschafft?

Eine Frau steht an der Tür eines Autos. Auf dem Auto steht "Flexa".

Eine Kundin der LVB vor einem Flexa-Fahrzeug.

Sandy Brachmann: Wir haben eigens ein Team aus zwölf hochqualifizierten Softwareentwicklern aufgebaut – in unserer Mobilitätsfabrik in der Konsumzentrale in Leipzig Plagwitz. Unser Fokus liegt auf zwei Schwerpunkten: Der eine ist der Aufbau unseres eigenen On-Demand-Angebots Flexa. Hier arbeiten wir eng zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Dynamik in Selbstorganisation in Göttingen. Das zweite Puzzleteil ist die Einbindung dieses On-demand- Weges in die Gesamtstrecke von A nach B. Und zwar so, dass dann auch wirklich ein Flexa da ist, wenn der Fahrgast aus der Straßenbahn oder dem Bus aussteigt. Im Rahmen des Sofortprogramms „Saubere Luft 2017–2020“ hat uns das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mit Fördermitteln aus dem Fördermittelvorhaben „Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme“ unterstützt.

Welche Rolle spielt Flexa dabei genau?

Jens Hollritt: Flexa ist unsere Antwort auf die Wünsche unserer Kunden nach mehr Flexibilität und Komfort, insbesondere in den Gebieten am Stadtrand. Wir wollen unseren Kunden einen zum eigenen Auto vergleichbaren Service bieten, und zwar von der Haustür direkt verknüpft auf den ÖPNV. Dazu haben wir ein vollständiges Betriebssystem geschaffen, angefangen vom Fahrzeugmanagementsystem über das Anlegen virtueller Haltestellen bis hin zu einer Software für eine Betriebsleitstelle und ein Callcenter. Ein komplexer Algorithmus bearbeitet die verschiedenen Anfragen und entscheidet, wer auf welches Fahrzeug gebucht wird und wie die optimale Route aussieht.

Sandy Brachmann: Und ganz wichtig: Wir vermeiden dabei Parallelverkehr, das Flexa soll also zum Beispiel nicht hinter einem Linienbus herfahren. Ein derart gut in den ÖPNV integriertes On-Demand-Angebot ist aktuell noch einzigartig in Deutschland. Das kommt gut bei den Kunden im Pilotgebiet an: In einer Umfrage gaben 50 Prozent der Befragten an, dass sie bereits heute Fahrten mit dem eigenen Auto durch Flexa ersetzen. Häufig ist es bisher an den letzten Metern vor der Haustür gescheitert.

Es wird also weitergehen mit Flexa?

Jens Hollritt: Wenn es nach uns geht, ein klares Ja. Ende August haben wir das aktuelle Pilotgebiet Wiederitzsch um Seehausen erweitert. Der Raum Südost mit Holzhausen und Meusdorf soll 2021 folgen. Ob es Flexa aber bald überall geben wird, das hängt am Ende davon ab, wie gut das Angebot von unseren Kunden angenommen wird. Perspektivisch könnte Flexa dann in unser intermodales Angebot über LeipzigMOVE integriert werden. Aktuell läuft die Pilotphase aber erst mal noch einige Jahre.

Werden wir in Zukunft also unsere Wege anders gestalten?

Jens Hollritt: Wir werden zukünftig Wege entwickeln, die Sie von sich aus vielleicht noch gar nicht sehen. Und dann durch diesen Weg führen. Ich mache also einmal das Routing und sage „Diese Route möchte ich haben“, und dann werde ich auf diesem Weg begleitet. Das heißt, angenommen, Sie hätten die gleiche Route zum Hauptbahnhof wie Ihr Kollege, Sie haben aber nextbike in Ihrer Wegekette und Ihr Kollege nicht. Dann würden Sie die Mitteilung „Loslaufen“ später bekommen, weil Ihr Kollege ja mehr Zeit für den Fußweg einplanen muss. Das könnte dann so aussehen: Sie werden aufgefordert, zum richtigen Zeitpunkt loszulaufen, anschließend das bereitstehende Fahrrad 1234 zu öffnen, wir routen Ihren Weg zum Hauptbahnhof, dort stellen Sie Ihr Fahrrad ab und werden von uns zum richtigen Bahnsteig geführt, um in die Bahn zum Zielort einzusteigen. Diesen Weg in Echtzeit zu begleiten und auch mitzubekommen, wenn es Störungen oder Verspätungen gibt, und dann die Route neu zu berechnen, das ist unser Ziel.

Sandy Brachmann: Wir glauben an diese Vision, das treibt uns jeden Tag an, auf Arbeit zu kommen. Wir müssen aber auch Rückschläge einstecken, das gehört dazu. Deshalb sprechen wir auch von Pilotprojekten. Damit wollen wir transportieren: Ja, das hat noch Kinderkrankheiten und die stellen wir noch ab. Aber wir haben nicht die perfekte Lösung von Tag 1 an, die kann man gar nicht haben.

Aus Fehlern lernen also?

Sandy Brachmann: Ja, diese Fehlerkultur ist ganz wichtig für uns. Wir müssen ja auch lernen, was will der Kunde jetzt und künftig, und wie können wir uns weiterentwickeln.

Jens Hollritt: Unsere Kunden sind ein hohes Maß an Zuverlässigkeit bei unseren Produkten gewöhnt. Nun bewegen wir uns aber aus unserem klassischen Arbeitsfeld heraus in eine Welt, in der 80-Prozent-Lösungen zum Marktstart normal sind – unser Anspruch liegt da aber schon deutlich darüber. Deshalb freuen wir uns über das Feedback unserer Kunden und setzen auf eine gemeinsame Weiterentwicklung.

Vielen Dank für das Gespräch.

Lesen Sie hier mehr spannende Geschichten in der Leipziger Leben.

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